Der Nutri-Score wurde von französischen Wissenschaftlern entwickelt und ist in Frankreich seit 2017 auf verpackten Le- bensmitteln zu finden. Seither haben sich verschiedene weitere europäische Länder dafür ausgesprochen, den Nutri-Score offiziell zu unterstützen. Für die Schweiz un- terstützt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) die Einführung des Nutri-Score seit 2019.
Dafür steht der Nutri-Score
Der Nutri-Score steht für Transparenz und Vergleichbarkeit. Er dient Konsument/ innen dabei, die Ausgewogenheit von Produkten zu vergleichen, ohne dass sie Zutatenlisten oder Nährwertdeklarationen entziffern oder verstehen müssen.
Mittels einer
für die britische Food Standard Agency wissenschaftlich entwickelten und umfassend
validierten Formel [1–17] werden günstige und ungünstige Eigenschaften bezüglich der Zusammensetzung pro 100 g bzw. 100 ml eines
Produktes miteinander verrechnet. Zu den günstigen Aspekten zählen der
Gehalt an Früchten, Gemüsen, Hülsenfrüchten, Nüssen, gewissen Ölen,
Nahrungsfasern und Proteinen. Diese stehen indirekt auch für den natürlichen Gehalt
an Vitaminen, Mineralstoffen, sekun- dären Pflanzenstoffen und den Anteil an ungesättigten Fettsäuren. Zu den ungünstigen Aspekten gehört der Gehalt
an Zucker, Salz, gesättigten
Fettsäuren und Energie.
Der resultierende Score wird
anschliessend in einer farbigen 5er-Skala dargestellt und mit einem Buchstaben von A bis E ausgedrückt. Grün symbolisiert dabei eine ausgewogenere, rot eine unausgewogenere Zusammensetzung.
Eine
gesündere Wahl durch den Nutri-Score
Als Grundpfeiler einer gesunden
und ausge- wogenen Ernährung
gelten die Empfehlungen der Schweizer Lebensmittelpyramide. Diese sind bewusst
allgemein formuliert, damit sie Spielraum
lassen für individuelle Vorlieben.
Der Nutri-Score ergänzt und konkretisiert sie, indem er die Qual der Wahl vor dem Einkaufsregal mit ähnlichen
Produkten verringert.
Er hilft dabei, sich zum Beispiel vor dem Regal der Milchprodukte zwischen den
vielen Joghurts zu entscheiden. Er ist je- doch nicht dafür vorgesehen,
die Wahl zwischen z. B. einem Joghurt und einer Fertig- Lasagne zu treffen. Der Nutri-Score ist keine Ernährungsempfehlung
und sollte nicht als absolute Bewertung eines Lebensmittels interpretiert werden.
Es hat sich zudem
gezeigt, dass Kennzeich- nungen wie der Nutri-Score den Wettbe- werb zwischen
den Herstellern fördern.
Er ist ein Anreiz für die Hersteller, ihre Produktrezepte zu überprüfen und
so umzufor- mulieren, dass der Score eine günstige(re) Zusammensetzung signalisiert. Die Hersteller
werden z. B. motiviert, den
Salz- und
Zuckergehalt
ihrer Produkte zu senken oder ihren Frucht- oder Gemüsegehalt zu erhöhen [18–20]. Damit kommt der
Nutri-Score indirekt auch Konsument/innen zugute,
welche beim Einkaufen nicht bewusst eine gesunde Wahl anstreben.
Der
Nutri-Score ist leicht verständlich
Der Nutri-Score ist eine einfach verständli- che Kennzeichnung für verarbeitete Lebens- mittel. Bis zu einem gewissen Grad wird der Nutri-Score auch intuitiv verstanden. Ganz selbsterklärend ist er jedoch nicht. Daher müssen sich Ernährungsberater/innen vertieft damit auseinandersetzen, um ihre Klient/innen über dessen Einsatz, Nutzen und Grenzen aufklären zu können.
Der Nutri-Score fördert die Konsumenteninformation
Das Schweizer Lebensmittelrecht schreibt eine
Nährwertkennzeichnung auf der Rückseite von Verpackungen obligatorisch
vor. Zusätzlich erlaubt das Recht
verschie-dene gesundheitliche und nährwertbe- zogene Anpreisungen wie zum Beispiel «reich an Protein», «hoher Eisengehalt»
oder «fettarm» [21]. Solche Anpreisungen
sind an keine weiteren Bedingungen geknüpft, als dass der erwähnte Nähr-
oder Inhaltsstoff in den
vorgeschriebenen Mengen vorhanden sein muss. Ein Gummibärchen darf so z. B. als fettarm angepriesen werden, obwohl es grundsätzlich keine
fetthaltigen Gummibärchen gibt.
Dank der obligatorischen
Nährwertkennzeichnung sollen Konsument/innen die
Zusammensetzung von
Lebensmitteln selber einschätzen und nährwert- und gesundheitsbezogene Anpreisungen kritisch hinterfragen können. Ist diese Erwartung realistisch?
Gegen 70 % der Konsument/innen in der Schweiz geben an, dass sie beim Kauf von Lebensmitteln auf die Gesundheit achten [22]. Doch nur ein Bruchteil der Bevölkerung nutzt die Nährwertkennzeichnung auf der Verpackungsrückseite als Entscheidungsgrundlage und mehr als die Hälfte versteht die Angaben nicht vollständig [23]. Der Nutri-Score bietet nun allen die Mög- lichkeit, Produkte auf eine einfache und objektive Art und Weise zu vergleichen.
Ziele des Nutri-Score
Der Nutri-Score verfolgt zwei Ziele: die Veränderung des
Einkaufsverhaltens von Konsument/innen hin zur Wahl von ausgewogeneren Lebensmitteln und die Optimierung der Produktzusammensetzung durch die Lebensmittelindustrie.
Grundsätzlich scheinen
evaluierende Kennzeichnungen auf der Vorderseite von Verpackungen die Wahl der Konsument/in- nen beim Einkaufen
im Sinne der Gesundheitsförderung positiv zu beeinflussen [24–32]. Erste Studien zeigen, dass der Nutri-Score auch Schweizer
Konsument/innen die gesündere Wahl erleichtern kann und dabei besser als andere Kennzeichnungssysteme abschneidet
[33–35]. Ande- re Studien zeigen, dass Konsument/innen, und zwar auch solche aus tieferen Einkommensschichten,
mithilfe des Nutri-Score gesündere Warenkörbe zusammenstellen können [36, 37]. Zudem scheint bei
Einkäufen mit dem Nutri- Score der Anteil an verarbeiteten Produkten zu sinken und jener an frischen,
un- verpackten Lebensmitteln zu steigen [38]. Bei ungesünderen Produkten führt der Nutri-Score zur Wahl von kleineren Portionengrössen [39]. Diese Resultate deuten alle darauf hin, dass der Nutri-Score auf verschiedenen Ebenen zu einem gesünderen Einkaufskorb und Ernährungsverhalten führen könnte.
In Frankreich haben mehrere Unterneh-
men kommuniziert, dass sie wegen Nutri- Score ihre Rezepte verbessern wollen. 2019 waren es schon 900
Produkte. Sämtliche Produkte werden in der Datenbank
Oqali (www.oqali.fr) registriert, um
diese Veränderungen offiziell verfolgen zu
können. Auch in der Schweiz haben z. B.
Nest- lé und Migros auf Anfrage bestätigt, dass sie ihre Produkte
überprüfen und verbessern.
Internationale
(Weiter-)Entwicklung
Um internationalen Firmen die Verwendung von Nutri-Score zu erleichtern und die Einführung der Kennzeichnung in den verschiedenen Ländern zu koordinieren, wurde Anfang 2021 ein länderübergreifender Lenkungsausschuss ins Leben gerufen, in dem neben Belgien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden auch die Schweiz vertreten ist. Ausserdem wurde ein internationales wissenschaftliches Gremium gegründet, welches die Weiterentwicklung der Formel prüfen soll. Die Schweiz ist sowohl im Lenkungs- gremium (durch das BLV) als auch im wis- senschaftlichen Gremium (durch eine un- abhängige Wissenschaftlerin) vertreten. Ob sich der Nutri-Score in Europa und der Schweiz langfristig durchsetzen kann, hängt stark von den Entwicklungen inner-halb der EU ab. Die Europäische Kommission hat angekündigt, sich bis Ende 2022 für ein harmonisiertes und obligatori- sches Front-of-Pack-Kennzeichnungssystem zu entscheiden. Um der Lobby-Arbeit von Herstellern, deren Produkte durch den Nutri-Score tendenziell eher ungünstig eingestuft werden, entgegenzutreten, haben sich nun auch Wissenschaftler/innen zu Wort gemeldet und einen Appell zur europaweiten Einführung von Nutri-Score unterzeichnet. Mehrere Hundert Wissen- schaftler/innen sowie 29 Organisationen, darunter Public Health Schweiz, haben den Appell bereits unterzeichnet. Weitere Informationen dazu finden Sie im Interview mit Serge Hercberg.
Dieser Artikel wurde im
SVDE ASDD Info 3/2022 veröffentlicht
Arbeitsgruppe «Food Labelling» der Allianz Ernährung und Gesundheit
Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV)
Ministère des Solidarités et de la Santé
Nutri-Score-Blog von Prof. Serge Hercberg und seinem Team
Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE)
Stiftung für Konsumentenschutz
Fédération Romande des Consommateurs (FRC)
Associazione consumatrici e consumatori della
Svizzera italiana (acsi)
Literatur
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